"Krise der Kirche": drei Punkte
(Vorausblickende Analyse aus dem Jahr 1995)


Eberhard Wagner

Hier befinden Sie sich in der Gastsektion von Eberhard Wagner, bekannter Romanautor, Denker und Schauspieler in Österreich. Sein Roman "Helena - das Gute ist, was bleibt", kann besonders zum Kauf empfohlen werden: ISBN 3-85165-360-2 im Passagenverlag Wien 2000.


Eberhard Wagner (Schrifsteller - Denker):
Ausgangsportal - Elektronische Nachricht

Im folgenden ist zweifellos besonders darauf zu achten, daß Kirche in ihrer am konkreten Ort und in konkreter Zeit sichtbaren und erfahrbaren Dimension gemeint ist, insoweit auch begrenzt menschlich-organisatorische Faktoren ihre Wirkung entfalten können, jedoch niemals eingeschlossen die Möglichkeit, daß die göttliche Stiftung der wahren und unteilbar sichtbar-unsichtbaren Kirche als Ganzes jemals rein-menschlich zerstört werden könnte. Ein herzlicher Dank ergeht an Eberhard Wagner für den folgenden Beitrag zur zusätzlichen Veröffentlichung auf www.padre.at:



Ich möchte auf drei Punkte hinweisen, die meines Erachtens mit Hauptursachen für die Krise der Kirche und des Glaubens sind, die bisher aber in der Diskussion weitgehend unberücksichtigt blieben:

  1. die demokratische Krise der Mittelschicht in der Kirche;

  2. die liturgische Krise;

  3. die Krise der Erneuerungsbewegungen.

1. Die demokratische Krise der Mittelschicht in der Kirche

Der Glaubensverlust ist nicht so sehr ein Problem der "gewöhnlichen Gläubigen", sondern ein Problem der Verantwortungsträger. NOCH haben breite Schichten die Basis dafür, Glauben anzunehmen. Und sie haben Sehnsucht danach, sie wollen Substanz! Sie, die noch am Boden der Wirklichkeit stehen ... MÜSSEN.

Der Glaubensverlust wird explizit in der mittleren Schichte der Verantwortlichen in der Kirche, die zum einen formale Kompetenz zur katechetischen Arbeit hat, zum anderen aber keine inhaltliche Kompetenz mehr aufzuweisen scheint - warum auch immer. Diese Schichte ist seit einigen Jahrzehnten dabei, sich abzukapseln, und hat in der Regel keinen anderen Bezug mehr zu den Menschen als einen ideologisierten, und sie leidet zunehmend unter Wirklichkeitsverlust - repräsentiert aber die Kirche.

Dieser Prozeß ist im gesamten öffentlichen Leben zu beobachten: Ab dem Erreichen einer bestimmten Stufe dynamisieren sich "Cliquengesetzlichkeiten", die das System bewahren. Darin besteht durchaus ein logischer Zusammenhang, der systemimmanent ist. Der Kreislauf entsteht aus einer Verquickung von "Demokratismus" mit grundlegenden Werten, die mit der Zeit auch zu einer Umwertung der Werte führt. Wir können dann mit Fug und Recht von einer Diktatur der Funktionäre sprechen. Dieses "Führungsprinzip" hat auch bereits große Teile der Wirtschaft erfaßt. Ich möchte hier nur auf das Problem der "Manager" hinweisen. Im Zusammenhang damit muß das Thema "Demokratie" neu diskutiert werden, denn wie schon die Griechen festgestellt haben, führt diese Form der Demokratie zur Ochlokratie - der Herrschaft der Mittelmäßigkeit, in einem stetigen Prozeß des Niedergangs. Wir haben die wahre Mittelschicht als freien Bürgerstand verloren und haben nunmehr eine Funktionärsmittelschicht, die aus Beamten, Angestellten, teilweise Arbeitern, Politikern etc. besteht, die eines kennzeichnet: daß ihre Existenz wohl abgesichert scheint.

Es darf als Kirche nicht weiter so einfach "Demokratie" als "katholischer Wert" hingenommen werden - auch wenn man damit schlafende Hunde weckt. Wir können uns auf Dauer an den Wirklichkeiten nicht vorbeischwindeln. Dies, um den Zustand der Kirche zu beschreiben. Denn letztendlich wurde das Prinzip der Demokratie in der Kirche formal noch verhindert. Doch das reale Arbeitsprinzip ist längst zu einer praktischen Umsetzung der effektiven Folgen der Demokratie geworden. Ich möchte dabei auf die "Gremialitis" hinweisen, auf die "Sucht" nach Arbeitskreisen und Konferenzen. Wo das Abstimmungsprinzip nicht eingeführt ist, herrscht Gruppendynamik, welcher der durchschnittliche Mensch weitgehend hilflos ausgeliefert ist. Wesensmäßig der Hierarchie zugedacht, bedarf es einer fast unmenschlichen Gewaltanstrengung, diesen Dynamiken zu entfliehen.


2. Die liturgische Krise als Krise der Wahrhaftigkeit

Als weiterer Punkt, der ebenfalls bisher nicht angesprochen wurde, muß man die liturgische Krise nennen. Persönliche sowie kirchliche Liturgie (als Darstellung seiner selbst) haben sich von ihrem Wirkprinzip her völlig verlagert: von einer handelnden zu einer beschreibenden, erklärenden Liturgie. Damit ist aber der Empfängerkreis verändert worden. Die Liturgie wendet sich an diejenigen, die deperzeptiv wahrnehmen. Ihre Wirkweise ist - wie die Wirkweise allen Seins - aber nicht das intellektuelle Verstehen, sondern vollzieht sich im ganzheitlichen Beiwohnen eines Geschehens, setzt bei den Sinnen an. Der Verstand ist zweiter ("Nihil est in intellectu quod non fuerit prius in sensu" - vgl. beim heiligen Thomas von Aquin, De Veritate, q. 2, a. 3 ad 19: "oportet ut quod est in intellectu nostro, prius in sensu fuerit", vgl. auch Summa Theologiae, I. qu. 84 a. 7). Liturgie muß also ein Geschehen vollkommen ausdrücken durch Darstellung.

In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Loslösungsprozeß innerhalb der Liturgie als einem Geschehen vollzogen, der nicht mehr dem Menschen und seiner Wirklichkeit entspricht. Sie ist damit unbeherrschbar und unberechenbar geworden - ein neues Zeichen für sich, das noch gar nicht ausgedeutet ist. Zum einen durch den Bruch mit der Tradition, der Verlagerung der Urteilskraft zu einem Aktualismus somit, wobei dieser Bruch für die Menschen nicht nachvollziehbar ist und zu einer Entfremdung führt. Das (vorgeblich naturwissenschaftlich geprägte) Menschenbild dahinter geht nicht vom Menschen als personalem Wesen aus, sondern nimmt seine beliebige Formbarkeit an. Die Inhalte gehen verloren, weil die Formfindung nicht nachvollziehbar ist.

Es kann nur wahrgenommen werden, was auch vorhanden ist, und das ist auch keine Frage der Bewußtheit. Jede Liturgie soll nicht etwas bewußt machen, sondern lediglich etwas vollziehen und darstellen. Die Handlung muß ihr Inhalt sein. Eine Liturgie, die Bewußtwerdung (als neues Dogma vorgeblich zur Mündigkeit) zum Inhalt hat, wird keine Handlung mehr ausdrücken, der Inhalt verliert die Nachvollziehbarkeit und alles bewegt sich im Rahmen bereits bekannter Dramaturgien. Nur im Staunen aber wird aufgenommen, und dazu braucht es eine Autorität des Entgegentretenden.

In der Pädagogik generell wird dieser Irrtum zelebriert. Sie wendet sich heute an den zu Erziehenden direkt, anstatt sich einem objektiven Handeln und Ziel zuzuwenden, das außerhalb beider liegt - Erziehendem wie Erzieher. Und somit den zu Erziehenden integriert. Sehr deutlich wird dies im Sprachunterricht, der zu einem Eingriff in die Person wird. Der Zugang ist nicht mehr das Zuführen eines Begriffs zu einem Wahrgenommenen, sondern wird zu einem ersatzweisen Verhaltenskatalog, dem ich mich ausliefere. Dadurch werden neue Kausalitäten verknüpft, was zur Ausbildung neuer Ideologien führt. Probleme bewegen sich sohin in eigenen Schaltkreisen mit eigener Logik. So wird auch das eigene Handeln immer unwirklicher, einem Gedankengebäude unterworfen, dessen Herkunft aber nicht mehr näher untersucht wird. Wir stehen in einem Zeitalter neuer Autoritäten und Abhängigkeiten!

Denken wird als selbständiger Faktor gesehen, nicht mehr als Mittel zur Kontingenzbewältigung, als Reflexion, dem Verlangen nach Realitäts-Erfassung entsprechend. Es wird als Mittel zur bewußten Eigenveränderung angesehen, weil auch der Ort des Menschen auf die Bewußtheit beschränkt wird.

In engem Zusammenhang mit dieser Problematik steht


3. Die Krise der Erneuerungsbewegungen

Durch die liturgische Umwertung wurde Erneuerungsbewegungen innerhalb der Kirche Raum geschaffen, die praktisch sämtlich aus dem protestantischen Raum kommen. Aus dem Seinsmangel aufgrund der Mängel in der Darstellung der Liturgie wurde ein Mangel bewußt, der nun durch direkte Maßnahmen - Aufnahme ist aber immer indirekt - ersetzt werden soll. Dieser Mangel an Gemüt, Erlebbarkeit von "etwas" gründet in der Selbstauslöschung des liturgischen Handelns.

Erlebbarkeit wird verfügbar gemacht. Die liturgischen Vollzüge innerhalb dieser Bewegungen sind plump, subjektivistisch und brutal. Ihr Inhalt ist die Beziehung des Vollziehenden zum Vollzogenen, nicht aber der Vollzug selbst. Erlebnisorientiertheit wird zur Konzentration auf die Folgen, die Fruchtnießung. Somit geschieht eine Abwendung vom eigentlichen Inhalt der Liturgie, der Wirklichkeit, eine Verlegung des Ortes der Hervorrufung in den einzelnen hinein und damit ihre Beliebigkeit. Der einzelne umgibt sich mit einem Mantel der Beherrschbarkeit, verliert somit im Grunde seine "religio".

Um die Schranken dieser Unnatürlichkeit zu durchbrechen, bedarf es einer Initiationshandlung, innerhalb welcher durch gruppendynamische Prozesse die Abschneidung von der Anbindung an die Wirklichkeit "getestet" wird. Und siehe da: man stellt die Hervorrufbarkeit eines Erlebens fest, das sich vorher in seiner Geschenkhaftigkeit einem Zugriff entzog.

Dieser scheinbar logische Regelkreis, in den man sich begibt, braucht in seiner Widersprüchlichkeit zur sens ratio, zur vorgefundenen Wirklichkeit, die auffordernden Charakter hat, ständige Stütze und Nahrung. Und so wird im Rahmen der Beherrschbarkeit von Gott und Welt ein Ersatz akzeptiert - sei es Person, sei es scheinbar sogar theologisches Reden z. B. innerhalb von Gruppen, die allesamt immer inhaltsleerer werden. Abhängigkeit entsteht.


Padre Alex (Gastgeber):
Heimatseiten - Wissenschaft - Stellungnahmen

Sehr gerne nehme ich weitere seriöse Beiträge und Links entgegen. Entsprechende elektronische Nachrichten am besten per Mail oder ohne Mailprogramm per Formular an mich senden. Bei der Suche nach der Wahrheit in allen Bereichen wünsche ich alles Gute!